Kaffeepause
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„Frag einfach Anna“
(Realsatire)
Ich hatte bei einem bekannten schwedischen
Möbelhaus einen Gartentisch gekauft.
Er sei aus massiver Akazie, einer harten und strapazierfähigen
Holzart und besonders gut für draußen geeignet.
Das Holz komme „nicht aus intakten Naturwäldern“.
Nun war mir, ich muss es gestehen, im Moment nicht
so wichtig, wie ich mir„ nichtintakte Naturwälder“
oder „intakte Nichtnaturwälder“ vorzustellen habe.
Ich wollte mehr über das Holz selbst wissen,
weil Akazien bei uns nicht gehandelt werden: berufliche
Neugier.
Auf der Internetseite des Möbelhauses erschien
unter „Frag einfach Anna“ eine gezeichnete
schlanke Endzwanzigerin mit einem Headset-Mikrophon.
Lief meine Frage direkt in eines dieser neuen
Callcenter?
„Hej! Guten Abend. Ich bin Anna. Gern beantworte
ich deine Frage.“
Sie wiegte auffordernd den Kopf hin und her und ihre Wangen hatten eine
auffallende Röte.
Sie duzte mich gleich.
„Aus welcher Akazienart (botanische Gattung
+ Art) besteht der Äpplarö Klapptisch?“, tippte
ich ein.
„Hier findest du Informationen über
Äpplarö Bank/Tisch.“
Es erschien die Seite, die ich gerade ergebnislos besucht hatte.
Anna drehte mir ihren Kopf mit neckisch triumphierenden Lächeln
zu.
Mir fiel dabei auf, dass sie sehr blond war.
„Meine Frage wurde nicht beantwortet.“
„Wir müssen ja nicht die gleiche Meinung
haben.“ Der Ton wurde schärfer.
So lasse ich mich nicht vorführen! Nicht
von einer Computeranimation!
„Diffizile est satiram non scribere.“ (Es ist schwer, keine
Satire zu schreiben.)
Eine neue Seite erschien blitzschnell hinter ihrem
Bild:
„Alle Artikel der Satir Produktserie findest
du auf der Seite, die ich gerade rausgesucht habe.“
Liest du noch oder tippst du schon?
© www.tischler-ole-welzel.de
> Frag Anna Druckverson (pdf)
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Wie man die Bildung verbessert
(Glosse)
Eine 1,5 Millionen Euro teure Studie des Arbeitsministeriums
hatte überraschendes herausgefunden: Jedes zweite Kind stürzt in einer
der ersten Kurven, wenn es erstmalig auf ein Fahrrad steigt.
Auf Druck einer großen Tageszeitung entschied
im Eilverfahren nur ein Jahr später das Kultus-ministerium, Fahrradfahren
in der Schule zu lehren. Dafür sollten die Fächer Kunst und Musik vom
Lehrplan gestrichen werden. Ihm sei das Wohl unserer Kinder wichtiger,
als das der Lehrer, die nur eine Beschäftigungssicherungsanstalt wollten,
begründete der Kultusminister.
Bereits am folgenden Montag übten die Kinder nun
im Deutschunterricht, die Wörter „Fahrradrahmen“, „Dreigang-Kettenschaltung“
und „Klingeldeckel“ richtig zu schreiben. Außerdem lernten sie in nur
einer Woche, dass der Punkt ein Stoppschild im Schriftverkehr sei und
wann man darin das Komma zu beachten habe.
Im Mathematikunterricht („Umfangsberechnungen“) erkannten
die Kinder sogar, dass man Zentimeter- und Zollmaße umrechnen können
muss, damit man nicht wegen falscher Bereifung stürzt.
Der junge Physiklehrer (50 J.) griff die bereits vermittelten
Inhalte der Fächer Mathematik und Deutsch auf, um sie in einem fachübergreifenden
Projektunterricht zu integrieren: Im Zusammenhang von Reifenumfang (Mathe)und
Zahnradgrößen der Dreigang-Kettenschaltung (Deutsch) demonstrierte der
Lehrer den Schülern erreichbare Endgeschwindigkeiten auf seinem eigenen
Fahrrad, weil die Schule keins besaß. Dieses Unterrichtsbeispiel wurde
noch lange auf Fortbildungsveranstaltungen gelobt, weil es das Ansehen
der Schule in der Öffentlichkeit verbessert.
In Biologie lernten die Kinder Bezeichnungen und
Lage der Muskeln, die man zum Treten der Pedalen benötigt. „Wie wollt
ihr später einmal vorwärtskommen, wenn ihr nicht wisst, welchen Muskel
ihr einsetzen müsst?“ Das war endlich eine praxisnahe Stunde.
In „Darstellendes Spiel“ wurden Szenen aus Robert
Musils „Der Verkehrsunfall“ geprobt.
Nachdem die Schüler am Freitag im Sportunterricht
noch einmal 25 Kniebeugen zur Stärkung der Beinmuskulatur absolviert
hatten, durften sie endlich auf ihr Fahrrad steigen. Die Hälfte von
ihnen stürzte dabei in einer der ersten Kurven.
„Die Wahrscheinlichkeit zu stürzen konnte auf
50% gesenkt werden,“ frohlockte das Kultusministerium. „Mehr liegt angesichts
leerer Kassen eigentlich nicht drin!“
Um das Ergebnis dennoch zu verbessern, wurde schließlich
folgendes angeordnet:
Das Fach „Darstellendes Spiel“ wird abgeschafft.
Die dafür frei werdenden Lehrerstunden werden
für zusätzlichen Mathe- und Deutschunterricht verwendet.
Die Gehälter der Lehrer werden gekürzt, damit sie sich
mehr anstrengen.
Bevor ein Schüler auf sein Fahrrad steigt muss er eine
schriftliche Prüfung ablegen, bei der in den Fächern Mathematik, Physik
und Deutsch mindestens ausreichende Leistungen erzielt werden müssen.
-
(Ole
Welzel )
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Moderne Abiturprüfung
(Glosse)
Aufgaben:
1) Entscheiden Sie
sich für denjenigen der drei Texte (a, b oder c), der die Lage der Bundesrepublik
in den letzten 50 Jahren des vorigen Jahrtausends am besten charakterisiert
und begründen Sie Ihre Entscheidung.
2) Ordnen Sie diesen
Text historisch genau ein, indem Sie die entsprechenden stilistischen
Merkmale erörternd nachweisen.
3) Analysieren Sie
diesen Text hinsichtlich Inhalt und Form.
4) Weisen Sie die
Intention des Autors textimmanent (durch die Ergebnisse aus 1-3) nach.
Auswahltexte:
a) Als
sich an einem Augusttag im Schlossgarten von Versailles aus der Achselhöhle
von Anneliese Schmidt ein relativ dicker Tropfen löste und aus ihrer
Kittelschürze auf Apollons Nase tropfte, stellte Einstein tief befriedigt
seine Armbanduhr auf 12 vor. Dann ging er einen Pastis trinken.
b) Waltraud
Koneffke: „Manchmal vergesse ich die Blumen Wasser zu geben.“
Bertram: (stellt
sein Glas krachend auf den Tisch)„Das brauchen sie nicht. Es regnet
auch nichtjeden Tag außerhalb Deutschlands.“(stiert in sein Glas)
c) „Mensch
kann das Brot nicht einfach wegwerfen,“ sagte Rüdiger Wuttke und dachte
an seine Kindheit. Dann sah er seine Frau tief befriedigt an.
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Das physikalische Gesetz
In einem Park pendeln in einer Reihe
sieben silberglänzende Kugeln unter einem hölzernen Bock.
Jeder kennt diesen banalen Versuch aus dem Physikunterricht.
Ein etwa dreijähriger Junge nimmt eine Kugel,
zieht sie seitwärts weg und lässt sie gegen die übrigen
sechs zurückpendeln. Die Eltern sehen ihm dabei fasziniert zu.
Auf der anderen Seite der Reihe wird eine Kugel
weggeschlagen, schaukelt zurück, schlägt nun die Ausgangskugel
aus der Reihe, so pendeln die äußeren Kugeln abwechselnd,
bis der Junge sie wieder anhält und das gleiche Spiel von vorn
beginnen lässt.
Daraufhin nimmt er zwei Kugeln, die er gleichzeitig zurückpendeln
lässt und ist fasziniert von der gleichförmigen, rhythmischen
Bewegung, den Klängen, die entstehen, bis er die Kugeln wieder
anhält, schwirrend klickernd wie Meereskiesel unter zurücklaufenden
Wogen.
In immer kürzeren Abständen versucht
er neue, schwierigere Konstellationen, rhythmischer Tanz, schwirrende
Töne entstehen.
Schon versucht er die Kugelreihe zu einem Haufen
zu formen, zu neuen klickernden und klackernden Rhythmen, sphärisch
schwirrenden Tönen, neuen Bewegungsbildern, die Kugeln tanzen wie
glitzernde Spiegel.
Der kleine Junge lässt sich fortspülen,
wird Teil dieser Klänge und Bewegungen und nimmt seine verzauberten
Eltern mit in eine Welt aus Musik, Tanz und spiegelnden Farben.
Da drängt sich plötzlich ein älterer
Herr vor, schiebt den Jungen mit den Worten beiseite: „Ich muss
da mal ran, ich habe nämlich Besuch hier.“
Schon hat er eine Kugel gepackt, seitwärts
aus der Reihe gezogen und deutet mit triumphierenden Blick auf das Spiel:
„Lasse ich eine Kugel gegen die Reihe schlagen,
fliegt auf der anderen Seite eine Kugel heraus. Nehme ich zwei Kugeln,
fliegen zwei heraus:Das ist ein physikalisches Gesetz! Danke, das war’s“,
sprach er und ging fort.
„Das also ist es,“ sagt der Vater
des Jungen nach einer Weile nachdenklich, „was aus Schule herauskommt.“
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